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FLUT – behind the scenes

Anlässlich des Beethoven-Jubiläums setzten die Oper Köln, die Duisburger Philharmoniker unter der Leitung von Cecilia Castagneto und der Choreograf Emanuele Soavi mit seinem Ensemble incompany, bestehend aus 12 Tänzer*innen sowie den Elektronikkomponisten Wolfgang Voigt und Stefan Bohne, mit dem Projekt FLUT ihre ungewöhnliche, künstlerische Zusammenarbeit fort. Ausgehend von der 7. Symphonie Beethovens über sein Streichquartett Nr. 8 hin zu einer elektronischen Neukomposition entstand im Zusammenspiel mit Zeitgenössischem Tanz ein Spannungsfeld der Gegensätze zwischen Kollektiv und Individualität, Instinkt und Funktionalität, Utopie und Realität.

Die Dokumentarfilmerin Julia Franken wirft in ihrem Film einen Blick hinter die Kulissen und auf den Entstehungsprozess dieses vielschichtigen Projekts.
Hier geht es zum Film

„Es gibt keinen Anfang und kein Ende“

Ein Gespräch mit Emanuele Soavi, Wolfgang Voigt, Stefan Bohne und Cecilia Castagneto

Emanuele, erzähl bitte etwas darüber, wie der Tanzabend FLUT überhaupt entstanden ist!

Emanuele Soavi: Anlass war das Jubiläumsjahr 2020 zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven. Wegen der Corona-Pandemie konnten wir es erst mit einem Jahr Verspätung umsetzen. Für so ein großes Projekt brauchte es starke Kooperationspartner, und die haben wir glücklicher Weise mit den Duisburger Philharmonikern und der Oper Köln an unserer Seite. Mit den Duisburger Philharmonikern haben wir seit 2014 schon drei erfolgreiche Projekte umgesetzt, 2017 kam erstmals die Oper Köln als Kooperationspartner hinzu. Gemeinsam haben wir beschlossen, einen Antrag bei der Beethoven-Jubiläumsgesellschaft zu stellen, über dessen Bewilligung wir uns natürlich riesig gefreut haben.

Wie hast du dich dieser Aufgabe genähert? Und wie kamst du schließlich auf das Thema und den Titel FLUT?

E.S.: Erstmal habe ich mich wochenlang in die Musik Beethovens vertieft, habe alles angehört. Bei allem hatte ich das Gefühl: Es passiert so ungeheuer viel in dieser Musik – und mit mir. Ich habe eine unglaubliche Energie gespürt, die die Musik verströmt, mitreißend – wie eine große Welle, wie eine Flut. Aus dieser Assoziation hat sich alles Weitere entwickelt.

Wenn wir an „Flut“ denken, können die Assoziationen ja sehr gegensätzlich sein. Nach der Ebbe kommt die Flut und ermöglicht Aufbruch, bringt neue Fülle, spült Altes, Überkommenes fort. Oder sie überschwemmt, vernichtet, zerstört, bedeutet Gefahr. Welche Seite hattest du eher im Blick?

E.S.: Das ist schwer zu sagen. Manchmal trägt mich die Energie hoch hinaus, manchmal zieht mich ihre Wucht hinab. Letztlich gehören beide Seiten zusammen, man kann das nicht trennen. Auch nach der Zerstörung folgt wieder Aufbruch und Neuanfang. „Flut“ beinhaltet für mich vor allem den unaufhörlichen Prozess des Wandels.

In die Probenphase, als die Stückentwicklung noch gar nicht abgeschlossen war, fiel die Flutkatastrophe, die in Teilen unseres Landes aber auch in anderen Weltgegenden verheerende Zerstörungen angerichtet hat. Hat das noch Einfluss auf die Entwicklung des Stücks genommen?

E.S.: Natürlich haben uns alle die Ereignisse sehr berührt. Aber einen direkten Einfluss haben sie nicht gehabt. Ich habe mich sogar eher darum bemüht, die Tagesaktualität auf Distanz zu halten. Einen konkreten Bezug herzustellen wäre der Idee des Stücks nicht gerecht geworden. Der Assoziationsraum sollte weiter offenbleiben.

Hat dich auch die Person und der Lebensweg Beethovens inspiriert? Findet sich davon etwas im Stück wieder?

E.S.: Das Stück hat nichts Biografisches im engeren Sinn, wir bebildern keine Lebensstationen Beethovens. Aber seine Persönlichkeit mit ihrem Temperament und ihrer Neugier, seine Phantasie, auch sein cholerischer Charakter – das alles korrespondiert auch mit diesem Thema der Flut. In diesem Sinne versuchen wir, in jedem der drei Teile der Choreografie etwas von der Person Beethovens aufscheinen zu lassen – „Seele“, „Herz“ und „Kopf“. Wie ein Kaleidoskop von einem Menschen, der sehr komplex ist – sowohl künstlerisch wie psychologisch. Beethoven war in seiner Zeit ein Avantgardist, er hatte einen visionären und kritischen Blick auf die sozialen und politischen Bewegungen seiner Epoche. Diese Haltung soll sich auch im Stück widerspiegeln. Es geht nicht um einen Rückblick auf Vergangenes, sondern vielmehr um eine Brücke in unsere Gegenwart und Zukunft. Deshalb ja auch die Konfrontation der Musik Beethovens mit zeitgenössischer elektronischer Musik von Wolfgang Voigt und Stefan Bohne.

Dann geht die nächste Frage an die Komponisten: Wie haben Sie sich der Aufgabe genähert?

Wolfgang Voigt: Ich muss schon sagen, dass Beethoven eine harte Nuss war, die sich zunächst einmal meiner Methode des Zugriffs ziemlich lange widersetzt hat. Ich arbeite mit Versatzstücken der Originalkompositionen, die ich elektronisch bearbeite und mit meinen Ausdrucksmitteln interpretiere, umdeute, expandiere, deformiere – aber immer nah am Material. Mein Instrument ist der Sampler, den ich gewissermaßen wie eine riesige Zitiermaschine benutze. Es war eine Herausforderung, Beethoven zu konfrontieren, ihn in Frage zu stellen – ein sehr spannender Prozess, in dem ich über meine bisherigen Grenzen hinausgegangen bin.

Stefan Bohne: Meine Herangehensweise war eine andere, mehr interaktive. Ich habe im Entstehen der Choreografie während der Proben einen Soundtrack entwickelt und spiele ihn bei den Aufführungen auf der Bühne live ein, im Zusammenspiel mit der Cellistin Anja Schröder – was eine ganz besondere Beziehung zwischen Choreografie, Tänzern und Musikerin erschafft. Ich assoziiere choreografische Ideen von Emanuele mit elektronischen Klängen und konfrontiere das mit dem Originalmaterial von Beethoven. Musik und Tanz entstehen in einem gemeinsamen Prozess – was nicht immer einfach ist. Umso intensiver ist am Ende der Konsens bei der Aufführung auf der Bühne, weil die Sprache eine gemeinsame ist. Da kommen Musik, Choreografie, die Produktionsvision und der Tanz wirklich zusammen und atmen zusammen.

Wie stehen Musik und Tanz in FLUT überhaupt zueinander? Ist es eine Choreografie auf die Musik – ähnlich wie bei einer klassischen Ballettmusik? Oder eher parallel zur Musik oder gar losgelöst von ihr?

Emanuele Soavi: Gerade die 7. Sinfonie von Beethoven mit ihrer starken Rhythmusbetonung kommt von all seinen Werken einer klassischen Ballettmusik wohl am nächsten. Dennoch interpretiert die Choreografie nicht die Musik oder folgt ihr. Der Tanz ist keine Dekoration der Musik, und die Musik dient nicht als Hintergrund für den Tanz. Das gilt genauso für die elektronische Musik im ersten Teil. Tanz und Musik begegnen sich auf Augenhöhe. Der Körper bleibt der Protagonist, aber zusammen mit der Musik. Es ist wie ein Dialog mit einem anderen Menschen: Es geht darum, wie wir miteinander sprechen können – auch wenn wir uns nicht immer verstehen und ohne immer der gleichen Meinung zu sein. Das macht ja auch die Spannung in einem Dialog aus.

Cecilia Castagneto: Für mich ist genau das das Besondere an unserer Zusammenarbeit. Wir sind es bei der Kombination mit Tanz sehr oft gewohnt, dass das Orchester die Tänzer begleitet. Aber hier arbeiten wir mit einem gemeinsamen dramaturgischen Konzept. Es geht darum, zusammen einen Spannungsbogen zu schaffen. Das versuche ich, mit der Musik zu machen, und die Herausforderung ist es, das mit dem Tanz zusammenzubekommen.

Emanuele, lass uns noch über die Ebene der Zeit im Stück sprechen. Im ersten Teil des dreiteiligen Abends sieht man ein Szenario, über das die Flut schon hinweggegangen zu sein scheint. Versatzstücke, die von einem Haus stammen könnten, liegen auf der Bühne. Die elektronische Musik verweist auf die Gegenwart oder die Zukunft; Bruchstücke von Beethovens Musik tauchen darin auf wie Treibgut aus der Vergangenheit. Der zweite Teil zur Quartettmusik spielt in einem noch intakten Haus. Der dritte Teil mit der 7. Sinfonie geht zeitlich am weitesten zurück. Verläuft die Zeit im Stück rückwärts?

E.S: Ja und nein. Die Stimmung im ersten Teil kann als futuristisch empfunden werden, aber auch als archaisch, als eine Art archäologische Spurensuche. Der zweite und der dritte Teil gehen musikalisch weiter zurück in die Vergangenheit, die Kostüme und die Bewegungssprache sind aber sehr heutig. Die Bühne und die Kostüme von Darko Petrovic spielen dabei jeweils eine wichtige Rolle. Das „Haus“ im zweiten Teil ist vielleicht noch heil, vielleicht ist es aber auch das, was wir nach der Zerstörung aus den Trümmern wieder aufgebaut haben. Es ist zugleich der intimste Teil mit einer mehr privaten Atmosphäre, in der es um Emotionen und um die eigene Identität geht. Im dritten Teil mit der 7. Sinfonie geht es wieder mehr um das Kollektiv – darum, wie ich als Mensch mit anderen lebe. Ich probiere, meine Identität zu erhalten, aber auch meine Energie mit anderen zusammenzubringen. Und die Musik befeuert diese Energie. Darin steckt wieder viel Aufbruch und verweist in die Zukunft.

Also handelt es sich im Grunde um eine Kreisbewegung…

E.S.: Ja, genau. Es gibt keinen Anfang und kein Ende – so wie auch die Flut kommt und geht und wiederkehrt.

Das Gespräch führte Anne-Kathrin Reif